Dienstag, 11. Januar 2011

Gerechte Sprache

Weil ich grad wiedermal in einer Newsgroup dazu geschrieben hab, möchte ich auch den geschätzten Leserinnen und Lesern dieses bescheidenen Blogs meine Überlegungen zum Thema geschlechtersensible bzw. -gerechte Sprache nicht vorenthalten:

Wie immer man zu einer geschlechtersensiblen Sprache und Ausdrucksweise auch stehen mag, so möchte ich doch noch folgende Anmerkungen dazu machen:

- Sprache bildet die Wirklichkeit nicht nur ab. Die Art und Weise wie Sprache eingesetzt wird, gestaltet die Wirklichkeit auch immer ganz aktiv mit.

- Sprache verändert sich - genauso wie auch unser Leben - ständig: Was einst richtig war, ist heute überholt, was heute allgemein akzeptierter Standard ist, wird in ein paar Jahren obsolet sein. Dementsprechend müssen wir uns auch immer wieder neuen (sprachlichen) Herausforderungen stellen.

- Studien zur Sprachwahrnehmung zeigen, dass es eindeutig einen Unterschied macht, ob in einem Text von "Sportlern" oder von "Sportlern UND Sportlerinnen" bzw. "SportlerInnen" gesprochen wird. Das sogenannte Binnen-I ist natürlich Geschmackssache und sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber machen Sie doch selbst einmal den Test: Ersuchen Sie eine Gruppe Ihrer Bekannten "5 Politiker" zu nennen, fragen Sie eine andere Gruppe nach "5 Politikerinnen und Politikern" – vermutlich werden Sie über die Ergebnisse erstaunt sein. Oder an wen denken Sie, wenn sie in der Zeitung lesen "... Die Textilarbeiter der südchinesischen Provinz streikten wegen katastrophaler Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung ... " Das dazugehörige Bild, das dabei im Kopf unwillkürlich entsteht ist das eines "Arbeiters" – die Tatsache, dass im Textilsektor primär Frauen (u. Kinder) tätig sind wird dabei völlig ausgeblendet. Es macht also tatsächlich einen Unterschied, ob etwas genannt wird oder nicht, ob es einen Bezeichnung hat oder eine unbenannte Leerstelle bleibt.

- Die Argumentation, dass es doch Wichtigeres gäbe, als geschlechtersensibles Formulieren (Stichwort Binnen-I etc.), greift meiner Meinung nach zu kurz, denn sensibel und bewusst mit Sprache umzugehen schließt ja keineswegs aus, dass man/frau sich gleichzeitig auch für die Verringerung der Gehaltsunterschiede, gerechtere Aufteilung von unbezahlter Versorgungsarbeit usw. einsetzt. Und dass Sprache sehr wohl große Macht auszuüben vermag, zeigt sich ja (leider) auch an unserer Geschichtsschreibung und der Tradierung von Wissen: Das Werk "Principles of Political Economy" wurde von Harriet Taylor Mill und John Stuart Mill verfasst. Doch irgendwann entschied ein Herausgeber - womöglich aus Platzgründen - Harriets Namen einfach wegzulassen... Und wieso fragt sich eigentlich niemand, ob's denn tatsächlich bis vor kurzem keine Komponistinnen, Naturwissenschafterinnen, Ökonominnen, Konstrukteurinnen etc. gab bzw. was mit ihnen passiert ist.

- Wir wissen heute, dass es die absolute Wahrheit bzw. die völlige Objektivität nicht gibt. So sind auch weder generisches Maskulinum noch die so genannten „neutralen“ Berufsbezeichnungen vom neutralen Sprachhimmel gefallen, sie entstanden vielmehr in einem bestimmen Kontext, der von den damals Mächtigen determiniert wurde...

dazu auch dieStandard.at "Der Sprache gehorchen oder sie selbst machen"Noch eine kleine Anregung noch zum Thema englische Sprache via Macmillan "21st c flux"
Trithemius - 9. Mär, 11:45

Wo es möglich ist, verwende ich geschlechtsneutrale Formulierungen, wenn Männer und Frauen gemeint sind. Doppelformen sind sperrig, und das Binnen-I halte ich für orthographischen Quatsch. Manchmal ist es schwierig, keine geschlechtsspezifischen Formulierungen zu verwenden. "Damenmannschaft", und die Fußballerinnen rufen "Hintermann".
Manche Frauen sagen auch, wenn sie von einem Gruppenerlebnis mit Geschlechtsgenossinen erzählen: "Wir waren zu sieben Mann."
Die hohe Zeit der irrwitzigen Versuche, sich sprachlich korrekt auszudrücken, war in den achziger des letzten Jahrhunderts. Einige feministische Linguistinnen wollten einfach nicht wahrhaben, dass das grammatische Geschlecht nichts mit dem biologischen Geschlecht gemeinsam hat. Es heißt der Mond, aber die Sonne, sogar die Mannsperson.

Ihr letzter Satz irritiert mich, denn er bildet nicht ganz die Realität ab. Sprache ist nicht von irgendwelchen Mächtigen determiniert, sondern immer von der Sprachgemeinschaft. Dass Frauen lange von Bildung abgeschnitten waren, ist freilich wahr, und deshalb haben sie wenig Anteil an vergangener Sprachentwicklung gehabt. Aber heute hindert Frauen niemand daran, auf die Sprachentwicklung Einfluss zu nehmen, die Sprache selbst zu machen. Was gut ist davon, setzt sich durch.

nana30 - 11. Jun, 00:57

Sprache & Wirklichkeit

Erstmal danke für Ihren Kommentar.

Ich stimme Ihnen zu, dass es manchmal wirklich eine echte Herausforderung ist, geschlechtssensible Sprache einzusetzen; über das Binnen-I kann man natürlich diskutieren - ich glaube auch nicht, dass es der Weisheit letzer Schluss ist - was die orthographische Problematik anbelangt, nun ja, vor 100 Jahren od. so schrieb man Tor auch noch mit h und heute wäre es falsch geschrieben - eine wirklich harmonisierte Rechtschreibung gibt es ja auch noch nicht allzu lange.

Was den letzten Satz anbelangt, so stimmt es natürlich, dass Sprache von der Sprachgemeinschaft determiniert wird, aber Sie brachten ja selbst die skurrilen Beispiele des "Hintermannes" od. "sieben Mann". Ich gebe zu bedenken, dass auch wenn Frauen heute gleichberechtigen Zugang zur Bildung haben, eine über Jahrhunderte hinweg tradierte Verhaltensweise sich nicht innerhalb einer Generation verändern kann und wird. Zudem möchte ich zu anmerken, dass die realen Zustände, die ja eine erhebliche Rolle spielen und sich auch in der Sprache widerspiegeln, Frauen nach wie vor benachteiligen - natürlich nicht mehr so offensichtlich wie vor 100 Jahren, aber eben doch auf einer subtileren Ebene, die deshalb auch schwerer wahrnehmbar und erkennbar ist. Denn Frauen haben zwar mittlerweile Zugang zu Bildung, das hat aber nicht automatisch ihren Zugang zu höheren Positionen in Wirtschaft, Politik u. dergl. erleichtert. Auch moderne Frauen von heute wurden in einem von lang tradierten Verhaltensmustern sozialisiert. Ich denke nicht, dass sich diese alten Muster innerhalb von 1, 2 Generationen so leicht komplett umdrehen lassen.

Bei Dingen etc. hat grammatisches Geschlecht wie Sie richtig bemerken mit dem biologischen Geschlecht relativ wenig zu tun. Aber mir ging es ja nicht um Dinge, sondern um die Darstellung konkreter Menschen - also Männern u. Frauen - in der Sprache u. v.a. in den Medien, wo Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind - oft begründet mit recht subjektiven Argumenten, dass sei nicht schön oder umständlich. Diese Erklärungen greifen mir zu kurz, zumal sie von Leuten kommen, deren tägliches Brot der Umgang mit Sprache ist, die demnach auch kreativ mit Sprache umgehen sollten. Wenn ein/e Architekt/in auf ein Problem stößt, wir eine neue, kreative Lösung gesucht; Journalisten u. Journalistinnen hingegen, suchen diese neue Lösung meiner Meinung nach oft eben nicht.

Zu Ihrem letzten Satz: Ob sich immer auch das durchsetzt, was gut ist, wage ich zu bezweifeln; die Mehrheit kann oftmals nicht klug über Anliegen einer Minderheit entscheiden (Frauen bilden statistisch zwar eine Mehrheit, sind jedoch funktional einer Minderheit gleichzusetzen) - um ein extremes Beispiel zu nennen: Sklavenhandel war auch mal allgemeiner Konsens, gut war er deshalb dennoch nicht...

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